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V O L K S H A U S S T I F T U N G Z Ü R I C H

P R Ä S I D I A L B E R I C H T

Wir hatten einst den Glauben, die Welt werde immer besser, immer übersichtlicher, ein

Garten Eden mit immer mehr Wohlstand für alle. Auch wenn dieser Glaube seit Jahren

Risse bekommt, haben wir uns vom Gefühl leiten lassen, die Probleme liessen sich

schon irgendwie lösen.

Den Arabischen Frühling begrüssten wir als Ausbruch aus rückwärtsgewandten Ideologien,

als Programm gegen die Korruption, schlicht als Aufbruch zur Demokratie. Die Jihadisten

hielten wir für reaktionäre Kämpfer, «die in lokalen Kämpfen um die Macht ringen» (Barack

Obama). Der Aufstand in der Ukraine erschien uns als ein begrenztes und lokales Schar-

mützel.

Doch es kam, gerade im verflossenen Jahr, alles anders als erhofft. Der Arabische Frühling

führte einzig in Tunesien zu einer breit abgestützten Verfassung und zu demokratischen

Wahlen. In Ägypten wurde die Muslimbrüderschaft, welche die ägyptische Revolution in

«demokratischen» Wahlen zunichtegemacht hatte, vom Militär weggeputscht und eine Res-

tauration des früheren Regimes ist in vollem Gange. Der Bürgerkrieg in Syrien und die seit

dem Einmarsch und dem späteren Abzug der USA chaotischen Verhältnisse im Irak liessen

ein von Jihadisten errichtetes Kalifat entstehen, das sich derzeit neue Stützpunkte in einem

ausser Rand und Band geratenen Libyen einrichtet. Der menschenverachtende Fundamen-

talismus gekoppelt mit Mord und Hass, die Rekrutierung junger, orientierungsloser Muslime

allüberall auf der Welt bringt ein Potenzial an Attentaten auch in der übrigen, nichtislami-

schen Welt hervor. Und auch in Nigeria hat sich mit Boko Haram eine jihadistische Organisa-

tion etabliert und treibt ihr fürchterliches Unwesen.

Das «begrenzte und lokale Scharmützel» in der Ukraine, an dessen Beginn die Demonstrati-

onen auf dem Maidan standen und die am 20. Februar zum dortigen Gemetzel und einer

neuen Regierung führten, hat sich zum gefährlichsten globalen Konflikt entwickelt. Separatis-

tische Regungen in der Ostukraine, von Russland unterstützt, sowie die militärstrategischen

Interessen des östlichen Nachbarn führten zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. In

der Ostukraine entwickelten sich danach militärische Konflikte, denen auf diplomatischem

Weg nicht mehr beizukommen war. Da neben der direkt betroffenen Ukraine verschiedene

Länder und selbsternannte Rebellengruppen dort ihr Süppchen kochen, hat diese Krise das

Potenzial, die ganze Welt ins militärische Elend zu stürzen.

Europa in der Rezession

Daneben blickte unser aller Auge auf die weltweite wirtschaftliche Entwicklung. Während die

USA sich das ganze Jahr über vom Finanz- und Wirtschaftseinbruch erholte und dank an-

sehnlichen Wachstumsraten neue, wenn auch nicht gute Jobs schaffte sowie den Dollar

stärkte, blieb die Rezession in Europa vorherrschend. Die von der Weltbank und der EU in

den Schwitzkasten genommenen Länder Spanien, Portugal, Nordirland und Griechenland

manövrieren sich auf Kosten grassierender Arbeitslosigkeit und besorgniserregender Armut

aus der Schuldenfalle. Die Leichen, die den Weg säumen, sind unzählbar und insbesondere

die jungen Leute, die gerade mal knapp zu 50 Prozent den Weg ins Arbeitsleben finden, bil-

den für Generationen eine soziale Zeitbombe. Und dass es um Italien und Frankreich, die in

einer tiefen Rezession stecken, bald nicht besser bestellt sein könnte, pfeifen die Spatzen

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