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PRÄSIDIALBERICHT
Zwei Jahre nach dem Börsencrash hat die Gleichgültigkeit wieder
überhandgenommen. Die für die Finanzkrise Verantwortlichen sitzen wieder fest im
Sattel und schanzten sich, als ob nichts geschehen wäre und die UBS nicht noch in
der Schuld der Steuerzahler stünde, im Jahre 2010 rückwirkende Boni für das Jahr
2009 zu, die es in sich haben. Und dies, obwohl die Banken allesamt ihre
Verlustvorträge steuerlich anrechnen lassen und somit steuerbefreit über die Runden
kommen. Die Gleichgültigkeit des Volkes in Wirtschaftsfragen kontrastiert dabei mit
der signifikanten und ausgrenzenden Militanz in Ausländerfragen. So entwickelte
sich die emotional aufgestachelte Stimmbürgerschaft mehrheitlich in Richtung
Ausgrenzung der schwächeren Gesellschaftsmitglieder und stimmte der
Ausschaffungsinitiative zu. Es ist eben einfacher, die Schwächeren anzugreifen und
die Mächtigen zu schonen. Diese Entwicklung sollte zu denken geben.
Handkehrum lief vieles runder als erwartet. Die produzierende Wirtschaft fiel
entgegen allen Erwartungen nicht in die Krise. Die Exportwirtschaft schlug sich trotz
sinkendem Euro überraschend gut und die Binnenwirtschaft erwies sich als
Konjunkturstütze. Die Konsumkraft blieb erhalten und die Menschen scheinen sich in
einem Hedonismus – von dem auch unser Haus profitiert – aller Angebote zu
erfreuen, die sie sich leisten können.
Das hundertste Betriebsjahr unseres Volkshauses hatte es in sich. Zusätzlich zu den
laufenden Vermietungen, Erneuerungs- und Instandsetzungsarbeiten galt es, das
Jubiläumsjahr politisch, kulturell und durch bauliche Innovationen ins Bewusstsein
von Politik, Kundschaft und Mieterschaft zu bringen.
Das Volkshaus Zürich hat spannende hundert Jahre hinter sich gebracht. Und es ist
seiner verurkundeten Bestimmung, « allen Kreisen der Bevölkerung ohne Rücksicht
auf ihre religiösen oder politischen Bestrebungen zur Verfügung zu stehen », noch
lange nicht müde geworden.
Das Volkshaus ist nicht direktes Subjekt der Geschichte. Es ist aber ein Ort, an dem
sich gesellschaftliche Eruptionen, Trends und Moden ausleben. Gaben die Initiatoren
die Anweisung, religiöse und politische Bestrebungen nicht zu beschneiden, so
geschah dies in einem übersichtlichen Spannungsfeld. Hier die emporstrebende
Arbeiterbewegung, dort die etablierten politischen Strömungen. Hier die Menschen,
die sich an mehr oder weniger etablierten Kirchen orientierten, dort Agnostiker und
Atheisten.
In solchen Fragen hat sich die Gesellschaft enorm gewandelt. So hat die Integration
vieler Kulturen, insbesondere im Schmelztiegelquartier Aussersihl, das
Zusammenleben und die Vorlieben stark verändert. Mit der Integration der
Arbeiterbewegung in den bürgerlichen Staat haben sich die politischen
Spannungsfelder vermehrt auf unterschiedlichste soziale Bewegungen verlagert.